United by Music?
Es ist wieder so weit: Der Eurovision Song Contest geht in die 69. Runde. Unter dem Motto „United by Music“ treffen sich Künstlerinnen und Künstler aus ganz Europa in der St. Jakobshalle in Basel.
Es ist wieder so weit: Der Eurovision Song Contest geht in die 69. Runde. Unter dem Motto „United by Music“ treffen sich Künstlerinnen und Künstler aus ganz Europa in der St. Jakobshalle in Basel.
Durch das große Finale am 17. Mai führt unter anderem die Schweizer Comedian und Moderatorin Hazel Brugger – auf einer Bühne, die von den beeindruckenden Bergen ihres Heimatlandes inspiriert wurde. Artists aus 37 Ländern kämpfen am Samstagabend um das gläserne Mikrofon – die Siegertrophäe des Eurovision Song Contests. Am Ende entscheidet eine Mischung aus Jury- und Publikumsvoting darüber, wer gewinnt. Für Gesprächsstoff rund um den ESC wird aber bereits vor dem Finale gesorgt.
Auch wenn die Veranstalterinnen und Veranstalter betonen, dass der ESC unpolitisch bleiben soll, zeigt die Realität jedes Jahr aufs Neue, wie sehr der Musik Contest und gesellschaftliche Fragen miteinander verknüpft sind. Neben Musik und Live-Performances ist die Veranstaltung längst zum Spiegel europäischer Gesellschaft geworden. Ein Ort für Vielfalt, neue Trends – und immer wieder auch für politische Debatten. In diesem Jahr gibt es gleich mehrere Neuerungen – die einen gern gesehen, die anderen stark diskutiert.
Erstmals müssen alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen verpflichtenden Verhaltenskodex unterschreiben. Dazu kommt ein neues Sorgfaltsprotokoll, das den Fokus stärker auf die psychische und physische Gesundheit der Acts legt.
Damit sich auch die rund 500.000 Besucher:innen beim ESC in Basel wohlfühlen, hat die Schweiz ein neues Schutzprojekt ins Leben gerufen. Ein Mobiles-Awareness-Team in pinkfarbenen Westen, bestehend aus geschulten Fachpersonal und Freiwilligen, ist vor Ort verteilt. Außerdem gibt es eine 24-Stunden Hotline und sichere Rückzugsorte.
Zu anhaltenden Diskussionen in der ESC-Community führte jedoch das Verbot von Regenbogenflaggen und anderen politische Symbole auf der Bühne. Die Künstler:innen dürfen ab sofort nur noch die Flagge ihres eigenen Landes auf der Bühne zeigen. So sollen politische Botschaften vermieden werden.
Eine/r, der/die sich dazu klar äußert, ist ESC-Gewinner:in Nemo. Nemo holte im vergangenen Jahr den Sieg für die Schweiz nach Hause. Bei dem Auftritt wurde auch die nicht-binäre Flagge gezeigt. Im Interview äußert sich Nemo kritisch gegenüber des ESC: “Man kann nicht für die queerste Sache der Welt bekannt sein, im Grunde genommen ein Wettbewerb, der so lange mit Queerness und schwuler Kultur in Verbindung gebracht wurde, und dann sagen: ‚Oh, wir erlauben keine Pride-Flaggen für die Künstler’.” ESC-Direktor Martin Green sieht das anders: Er ist überzeugt, dass die gelebte Vielfalt auf der Bühne für sich spricht – ganz ohne Flaggen. “Man muss die Show nur sehen, die Teilnehmer sehen und hören, worüber sie singen”, sagt Green. Zumindest das Publikum darf weiterhin alle nach Schweizer Recht erlaubten Flaggen zeigen – ein kleiner Trost für viele Fans.
Damit aber nicht genug: Auch die Frage, welche Länder am Wettbewerb teilnehmen dürfen, wird kontrovers diskutiert. Im Vordergrund steht hier die Teilnahme Israels. Schon im letzten Jahr beim ESC in Malmö wurde ein Ausschluss gefordert – Jetzt haben sich über 70 ehemalige ESC-Teilnehmer:innen in einem offenen Brief gegen einen Auftritt Israels ausgesprochen. Kritisiert wird die Anhaltende Situation in Gaza. 2022 sei Russland schließlich auch wegen des Überfalls auf die Ukraine ausgeschlossen worden. "Wir akzeptieren diese Doppelmoral gegenüber Israel nicht", schreiben sie im offenen Brief. Auch der spanische Rundfunksender RTVE schließt sich den Forderungen an, eine Debatte über einen Ausschluss Israels zu führen.
Der ESC-Veranstaltenden, die European Broadcasting Union (EBU), hat die Forderung zur Kenntnis genommen, spricht sich jedoch gegen einen Ausschluss aus. Die EBU verteidigte ihre Entscheidung damit, dass der israelische Beitrag von der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt KAN komme und nicht direkt von der Regierung. “Es ist nicht unsere Aufgabe, Konflikte miteinander zu vergleichen”, heißt es von Martin Green.
Israel wird beim Eurovision Song Contest 2025 von der Sängerin Yuval Raphael vertreten. Mit ihrem Lied „New Day Will Rise“, einer emotionalen Ballade über Hoffnung und Neuanfang, tritt sie für ihr Land an. Die 24-jährige Künstlerin ist Überlebende des Terroranschlags auf das Nova-Musikfestival am 7. Oktober 2023. In ihrem Song verarbeitet sie ihre persönlichen Erfahrungen und sendet eine Botschaft der Resilienz. Yuval Raphael qualifizierte sich im zweiten Halbfinale für das Finale.
Israel ist nicht das einzige Land das teilnehmen darf, obwohl es stark in der Kritik steht. Aserbaidschan darf ebenfalls weiter antreten. Das Land startete im Herbst 2023 eine Militäroffensive auf die Region Bergkarabach – ein Gebiet, das mehrheitlich von ethnischen Armenier:innen bewohnt war. Die Folge: Zehntausende Menschen flohen, viele sprechen von einer gezielten Vertreibung. Deshalb gibt es Forderungen, Aserbaidschan vom ESC auszuschließen. Die Begründung ist die Gleiche: Der Wettbewerb finde zwischen Rundfunkanstalten statt, nicht zwischen Regierungen – und der zuständige Sender aus Aserbaidschan habe sich bisher regelkonform verhalten.
Für Deutschland tritt in diesem Jahr Abor und Tynna an. Mit dem Song „Baller“ schickt das Geschwister Duo – eigentlich aus Österreich – eine energiegeladene Club-Hymne ins Rennen. Sie waren bereits als Vorband von Nina Chuba auf Tour und gewann den Vorentscheid, organisiert von Stefan Raab. Ihr Beitrag verbindet treibende Techno-Beats mit klassischen Streicherelementen und einen Refrain mit Ohrwurmpotential. Der Song greift den aktuellen Zeitgeist in der Popmusik auf – Deutschland ist damit so mutig wie lange nicht mehr beim ESC. Über die Live-Performance ist nicht viel bekannt, aber visuell wird einiges geboten, zum Beispiel mit überdimensionalen Boom-Boxen. Auch bei den Beiträgen aus Irland, San Marino und Island ist ein elektronischer Einfluss deutlich zu hören – für San Marino legt sogar der berühmte DJ Gabry Ponte auf.
Gerade durch die neuen Regelungen und vielen Debatten wird einmal mehr bewiesen, dass der ESC nicht nur eine Bühne für Musik ist, sondern auch gesellschaftliche Fragen und kulturelle Werte verhandelt werden. ESC-Direktor Martin Green formulierte es so: „Ich hoffe, dass die Eurovision auch in diesem Jahr, das tut, was sie in den vergangenen 69 Jahren getan hat – nämlich zeigen, dass Musik uns zusammenbringen kann.“
Von Pia Zehner & Johannah Hainke