Techno ohne Stützräder
Bei Kids Rave stehen über 60 Kinder und Jugendliche aus 29 Ländern regelmäßig auf Bühnen, von denen viele Erwachsene nur träumen können.
Bei Kids Rave stehen über 60 Kinder und Jugendliche aus 29 Ländern regelmäßig auf Bühnen, von denen viele Erwachsene nur träumen können.
Sie sind 8, 10, 12 Jahre alt – und spielen beim ADE, hosten eigene Stages beim Next Gen Festival in den Niederlanden und werden dieses Jahr mit einem eigenen Truck bei Rave The Planet durch Berlin rollen. Das Projekt hinter all dem heißt Kids Rave. Sie fördert talentierte Kinder und Jugendliche aus aller Welt. Gespielt wird Hard Techno, House, Drum’ n’Bass, Techno, Afro House – und das teilweise sogar auf Vinyl. „Sie spielen nicht Teletubbies-Techno“, beteuert Thomas, einer der Mitgründer von Kids Rave. „Sie spielen richtigen Festival-Sound – manchmal Tracks, auf die wir selbst vor 20 Jahren gefeiert haben.“ Thomas ist der kreative Kopf hinter dem Projekt, das ursprünglich nur als einmalige Bühne für Nachwuchs DJs auf einem Festival gedacht war. Doch als sich die ersten Kinder aus Tel Aviv, London und Rom meldeten, wurde klar: Hier entsteht etwas Größeres.
Es ist das erste Mal in der Geschichte von Rave the Planet, dass eine komplett von Kindern bespielte Crew Teil dieser Demonstration für Frieden, Vielfalt und elektronische Musik sein wird. Viele im Kids Rave Team bezeichnen den Auftritt als “historisch”. Mit dabei: Artists wie Eiji aus Japan, Jules aus den USA, Julia aus Dubai, die Frequency Brothers aus Italien – und viele mehr. „Für mich ist das einer der wichtigsten Momente überhaupt“, findet Emma, Mutter eines der DJs und seit Jahren eng mit Kids Rave verbunden. „Die Kinder tragen nicht nur Musik auf die Straße – sie tragen die Werte weiter, für die diese Szene steht.“
Thomas geht es nicht darum, kleine Superstars zu produzieren. Ganz im Gegenteil: „Wer nur kommt, um sein Kind zu pushen, passt nicht zu uns. Hier geht’s um Community, nicht um die Egos der Eltern.“ Und diese Community funktioniert. Die Kinder tauschen sich in WhatsApp-Gruppen über Tracks und CDJs aus, geben sich ehrliches, konstruktives Feedback. Emma erzählt, dass einige der jungen DJs in der Schule mit Mobbing oder Lernschwächen kämpfen – und durch das Auflegen eine ganz neue Form von Selbstvertrauen finden. Ihr Sohn Jay etwa – vorher eher unmotiviert in der Schule – entdeckte durch den Austausch mit Kindern aus anderen Ländern plötzlich ein Interesse an Sprachen. „Er wollte Niederländisch lernen, dann Spanisch. Das kam alles über die Musik und die Freundschaften zu den anderen“, berichtet Emma.
Neben großen Gigs ist musikalische Bildung genauso Teil des Projekts: Die Kinder besuchen das MOMEM – Museum of Modern Electronic Music – in Frankfurt, bekommen Vinyls von Szenegrößen wie Sven Väth geschickt – und lernen so, dass Clubkultur auch eine Geschichte hat. „Einer der Kids spielt alles was Schranz ist, wusste aber nicht, wer Chris Liebing ist“, erinnert sich Thomas. „Da wird es dann unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sie nicht nur wissen, wie man auflegt – sondern auch woher das alles kommt.“
Dazu gehört natürlich auch ihr Auftritt bei Rave the Planet. Die Demonstration für elektronische Musik bewegt die Szene seit den 90ern und wurde von einem der Wichtigsten gegründet: Dr. Motte. „Das, was wir heute machen, haben wir von ihm übernommen“, sagt Thomas. „Und jetzt ist es an unseren Kindern, diese Botschaft weiterzutragen – in die nächste und übernächste Generation.“ Was das bedeutet, ist ihnen laut Emma und Thomas wohl bewusst. „Ich glaube, ich werde weinen, wenn ich das sehe“, lacht Emma.
Von Johannah Hainke