Go Group Workshop Roskilde
Caroline Nellemann
Go Group Workshop Roskilde
Feel Good Friday

Kann Festival auch nachhaltig?

Dieser Frage sind wir mit Holger Jan Schmidt, Mitgründer des europäischen Think Tanks “Go Group” auf den Grund gegangen und haben mit ihm über Nachhaltigkeit auf Festivals gesprochen.

SSL: Erzähl doch mal: Was ist die Go Group genau? Und was ist euer Ziel?

H: Die Go Group ist ein internationaler Think Tank, der Festivals dabei unterstützt, grüner, smarter und nachhaltiger zu werden. Das Ganze gehört zu Yourope, dem europäischen Festivalverband – über 130 Festivals aus 31 europäischen Ländern gehören dazu.

Die Go Group gibt es seit 2010. Damals habe ich die Konferenz Green Events Europe organisiert und wir haben uns gefragt, was zwischen diesen jährlichen Konferenzen passieren könnte, um den Austausch am Laufen zu halten. So entstand dann die Go Group. Seitdem veranstalten wir regelmäßig Workshops, veröffentlichen Beiträge auf Fachkonferenzen und tauschen uns über Best Practices, Herausforderungen und neue Erkenntnisse aus. Es geht darum, voneinander zu lernen – auch über das, was mal nicht funktioniert hat – und so die Branche insgesamt weiterzubringen. 

Go Group Workshop Roskilde
Caroline Nellemann
Go Group Workshop Roskilde

SSL: Wie sieht so ein Workshop aus? Wer kommt da alles zusammen?

H: Das ist eine richtig bunte Mischung – genau das macht’s auch spannend. Beim letzten Workshop in Roskilde waren knapp 50 Personen dabei: Festivalmanager:innen, Nachhaltigkeitsverantwortliche, Leute aus dem Booking, Wissenschaftler:innen, Aktivist:innen, aber auch Dienstleister:innen und Sponsor:innen. Alle, die im Festivalbetrieb eine Rolle spielen und sich mit Nachhaltigkeit auseinandersetzen. Wir malen und bauen auch mal. Also, das ist nicht einfach Frontalunterricht, wir wollen schließlich kreative Formate schaffen. Das klingt auf den ersten Blick ein bisschen nach Kindergarten. Aber ganz ehrlich: Wenn man etwas sieht, in der Hand hält, mitgestaltet – dann versteht man es viel besser und kann ganz anders darüber diskutieren.

SSL: Und was passiert nach so einem Workshop? 

H: Unsere Aufgabe ist es nicht, zu kontrollieren oder zu bewerten, was Festivals daraus machen. Wir inspirieren, wir stellen den Rahmen für Wissensaustausch und Zusammenarbeit. Was wir aber machen ist, die Leute zu vernetzen. Ein Beispiel ist das EU-Projekt Future Festival Tools, bei dem wir mit verschiedenen NGOs und Nachhaltigkeitsexpert:innen zusammengearbeitet haben. Entstanden ist ein umfangreiches Set an Instrumenten, das Veranstalter:innen unterstützt – besonders die, die gerade erst in Sachen Nachhaltigkeit einsteigen. Dazu kommt ein E-Learning-Kurs, der auf sechs zentrale Themenfelder eingeht: Energie, Mobilität, Wasser, Verpflegung, Ressourcenmanagement (also z. B. Müll) und Strategie & Kommunikation. Zu jedem dieser Bereiche gibt es Tools, Learnings und Praxisbeispiele. Das Ganze ist kostenlos und frei verfügbar – jede:r kann es nutzen. 

SSL: Hast du persönlich einen Moment erlebt, bei dem du gedacht hast: Ja, genau deshalb lohnt sich unsere Arbeit?

H: Ja, während unserer Konferenz, die wir von 2010 bis 2014 veranstaltet haben, haben wir ein nachhaltiges Kochevent gemacht. Das war eigentlich nur ein kleiner Programmpunkt, um das Thema Catering zu beleuchten. Martin Zwietek, der Koch, hat danach eine öangjährige Kooperation mit dem Deichbrand Festival gestartet. Er hat dort das Co- und Artist-Catering mitgestaltet und konzipiert. Das hat mich richtig bestätigt, dass sich Leute durch unsere Arbeit kennenlernen, Projekte entstehen, sich Dinge verändern. 

SSL: Wenn du auf die letzten Jahre zurückblickst – hast du das Gefühl, dass Nachhaltigkeit heute bei mehr Festivals wirklich ankommt?

H: Absolut. Viele aus unserem Team sind seit über 20 Jahren in dem Bereich aktiv. Heute kannst du kein Festival mehr in Europa ohne Nachhaltigkeit denken. Das heißt nicht, dass alle alles perfekt umsetzen. Aber jede Veranstaltung macht sich Gedanken um die Umwelt: Was bieten wir an Essen an? Woher kommt der Strom? Wie reisen die Leute an? Was passiert mit dem Müll? Das sind alles Fragen, die heute selbstverständlich zum Planungsprozess gehören. Und manche Festivals setzen dabei Maßstäbe – sie sind Leuchttürme für die ganze Branche.

SSL: Hast du ein paar konkrete Beispiele für solche Leuchtturm-Festivals?

H: Ein Festival, das mich nachhaltig beeindruckt hat, ist „We Love Green“ in Paris. Das hat etwa 40.000 Besucher:innen pro Tag, und die komplette Produktion ist darauf ausgelegt, den ökologischen Fußabdruck zu minimieren. Ich war 2014 zum ersten Mal dort. Da habe ich ehrlich gesagt erstmal die Nase gerümpft, als ich gehört habe, dass es nur Komposttoiletten gibt. Aber ich war positiv überrascht. Und heute sind solche Komposttoiletten auf vielen Festivals völlig normal. Das Festival hat 2024 auch den Green Operations Award gewonnen. „We Love Green“ ist ein extrem gutes Beispiel, wie man Nachhaltigkeit ganzheitlich denken und umsetzen kann. Weitere Beispiele sind das Øya Festival in Oslo und das Boom Festival in Portugal. Alle machen extrem viel, auch in Sachen Forschung und Innovation – Und trotzdem muss man sagen, dass auch sie noch nicht fertig sind. 

Holger Jan Schmidt
Hara Amorós
Holger Jan Schmidt

SSL: Gibt es denn aus deiner Sicht so drei konkrete Nachhaltigkeitsmaßnahmen, die du jedem Festival sofort empfehlen würdest? 

H: Ich tue mich schwer damit, konkrete Einzelmaßnahmen zu nennen, also zum Beispiel Komposttoiletten oder Mehrwegbecher. Ich finde es viel effektiver, bei den Strukturen anzusetzen, die solche Maßnahmen überhaupt möglich machen. Was jedes Festival braucht – das ist meine feste Überzeugung – sind drei Dinge:

Erstens: Es braucht eine:n Verantwortliche:n für Nachhaltigkeit. Eine Person, die sich wirklich um das Thema kümmert. Und ganz wichtig, diese Person braucht Rückendeckung vom Top-Management, egal ob das ein Vorstand ist, ein:e Geschäftsführer:in oder ein Kollektiv. Ohne diese Rückendeckung läuft nichts.

Zweitens: Diese Person kann das niemals allein schaffen. Nachhaltigkeit ist Teamsport. Man braucht ein ganzes Team, das versteht, worum es geht – und bereit ist, diesen Weg mitzugehen. Und dafür braucht’s Wissen und Weiterbildung. Viele, die blockieren, tun das nicht aus Böswilligkeit, sondern weil sie schlicht nicht wissen, was möglich ist oder warum etwas wichtig ist.

Und drittens – das ist genauso wichtig: Kommunikation. Nach innen, also ins eigene Team, zu Dienstleister:innen, zu Partner:innen – aber auch nach außen, also zum Publikum. Und das bitte nicht belehrend, sondern einladend. Denn nur, wenn alle mitgenommen werden, kann man wirklich Veränderung schaffen. Dann kannst du anfangen zu schauen, wo man gerade beim Thema Nachhaltigkeit steht. Dann werden Ziele gesetzt – kurzfristig, mittelfristig, langfristig. Und dann geht die Reise los.

SSL: Gibt’s auch politische oder finanzielle Grenzen, an die ihr stoßt? 

H: Na klar. Wir als Verband jetzt nicht direkt – aber die Festivals selbst schon. Da spielen Personalkapazitäten eine Rolle, technische Möglichkeiten, gesetzliche Rahmenbedingungen – und natürlich auch Geld. Ein gutes Beispiel ist das Thema Energieversorgung. Natürlich wäre es super, überall auf Wasserstoff umzusteigen oder ganz auf grüne Alternativen. Aber die Realität ist: Diese Technologien gibt es teilweise noch nicht in der Breite. Oder sie sind nicht bezahlbar. Ein Dieselaggregat bekommst du für einen Bruchteil dessen, was eine emissionsfreie Lösung kosten würde. Das ist ein echtes Problem.

SSL: Wie bringt ihr eigentlich das Publikum mit ins Boot? 

H: Das ist von Festival zu Festival unterschiedlich. Aber ich sag’s mal ganz grundsätzlich: Man muss es den Leuten so leicht wie möglich machen. Wenn ich mit meinem Müll 300 Meter laufen muss, um einen Mülleimer zu finden, dann ist die Chance hoch, dass der Müll nicht dort landet. Und das gilt auch für andere Themen. Wenn du willst, dass Leute mit der Bahn anreisen, musst du dafür Angebote schaffen. Shuttlebusse, Sonderzüge, Ticketkombis. Es funktioniert nicht, wenn man sagt: „Fahr Bahn, weil’s besser ist“, aber es gibt keine Verbindung. Dann fahren die Leute halt Auto. Der Schlüssel ist also: gute Infrastruktur und clevere Kommunikation. Und die muss positiv sein. Nicht mit erhobenem Finger, sondern als Gemeinschaftsaufgabe verkaufen – Was Nachhaltigkeit ja auch ist. 

Von Johannah Hainke