“Wie ein Affe im Käfig”
Lieber ein Sticker auf der Kamera, oder freie Fahrt im Club zu fotografieren und zu filmen? Smartphones auf der Tanzfläche werden heftig diskutiert – Wir sind dem Thema auf den Grund gegangen.
Lieber ein Sticker auf der Kamera, oder freie Fahrt im Club zu fotografieren und zu filmen? Smartphones auf der Tanzfläche werden heftig diskutiert – Wir sind dem Thema auf den Grund gegangen.
Das Licht geht aus. Im Dunklen sind nur die Umrisse der DJ zu erkennen, die sich an den Decks für das nächste Set in Stellung bringt. Die Stimmung wird immer aufgeregter. Jetzt geht es los. Und zusammen mit den Beats gehen die Smartphones hoch – für den perfekten Clip im Netz. Während die einen gerne ihre Erinnerungen an die letzte Partynacht mit ihren Followern teilen, geht für die anderen durch die Handys das Gefühl von Freiheit und “im-Moment-leben" verloren. Klar ist: die Szene muss einen Umgang mit ihnen finden, denn wegzudenken sind Smartphones schon lange nicht mehr.
Die Initiative “Drop Highlight” hat ein Konzept entwickelt, dass es Veranstaltenden möglich macht, ihren Gästen sowohl Erinnerungsfotos und -Videos als auch eine smartphonefreie Nacht zu bereiten. Dahinter steckt das Londoner Unternehmen Covert. Wer “Drop Highlight” engagiert, bekommt Bändchen mit aufgedruckten QR-Codes, die am Eingang verteilt werden. Ein professionelles Filmteam ist auf der Party unterwegs und sorgt für Fotos und Videos. Schon am nächsten Tag können die Gäste über den QR-Code auf ihrem Bändchen die Fotos aufrufen und downloaden.
Einen anderen Ansatz lieferte das niederländische Brauereiunternehmen Heineken mit dem sogenannten Boring Phone. Die Idee: mehr echtes Sozialleben durch weniger Sozialleben im Handy. Heineken produzierte 2024 zusammen mit HMD ein limitiertes Klapphandy, das so langweilig sein sollte wie möglich und so sozial wie nötig. Nachrichtendienste wie WhatsApp sind zum Beispiel installiert, um sich mit den Friends zu connecten, Social Media Apps oder Spiele allerdings nicht. Mittlerweile sind von dieser Limited Edition nur noch Einzelstücke im Internet zu finden, die für etwa 400€ gehandelt werden. Die günstigere Variante ist die App namens The Boring Mode, die Heineken dazu entwickelte. Wer sie installiert, hat die Möglichkeit den Boring Mode zu aktivieren. Ausgewählte Apps senden dann keine Nachrichten mehr. Das Smartphone wird auf seine Grundessenz beschränkt und schickt die Nutzer:innen nach dem Entsperren wieder zurück ins echte Leben: “Go, do more with your friends” heißt es auf dem Display.
Aber wie fühlt sich so ein Dancefloor voller Smartphones eigentlich für den DJ an? Für DJ Alice diMar machen Smartphones bei Auftritten einen großen Unterschied. Im Gespräch mit SUNSHINE LIVE erzählt sie von einem Auftritt im DNA Club München, bei dem sie zum ersten Mal in einem Club mit No-Phone Policy auflegte. Eine No-Phone Policy bedeutet, dass den Clubgästen am Eingang die Kameras an ihren Smartphones mit einem kleinen Sticker abgeklebt werden. Für Alice diMar eine tolle Erfahrung: “Ich habe einen krassen Unterschied gemerkt. Die Leute sind dann nur für die Musik da und richten ihre komplette Aufmerksamkeit auf den DJ. Sie sind im Moment.” Nach dem eigenen Auftritt sei Alice diMar auch noch selbst auf der Tanzfläche unterwegs gewesen. Durch die No-Phone Policy habe sie den Vibe durch den ganzen Club gespürt – sogar auf den Toiletten. “Und das fand ich so geil,” schwärmt sie.
Aber Smartphones im Club können für DJs auch Vorteile bringen. Alba Wilczek, die als DJ quacksalba auflegt, veröffentlichte im November 2024 einen Beitrag zu diesem Thema beim Bayerischen Rundfunk. Natürlich ginge es im Club ums Tanzen, um den Moment und das Miteinandersein, schreibt sie. Aber sie habe auch Verständnis für Menschen, die Lust auf Content Creation haben. Das mache nun mal Spaß und bringe Sichtbarkeit: “Kurz vor der Pandemie habe ich mit dem Auflegen angefangen. Mittlerweile spiele ich deutschlandweit in bekannten Clubs und habe eine eigene Veranstaltungsreihe. Ich bin genau da, wo ich heute bin, auch wegen Social Media, weil ich mich als DJ dort präsentiert und darüber Kontakte geknüpft habe.”
Diese Sichtbarkeit und Präsenz auf Social Media ist auch für viele Clubs ein wichtiger Punkt. Denn im Prinzip sind Fotos und Videos von einer Partynacht, die nach außen dringen, auch einfach Werbung. Niklas Lemper, der Head of Marketing vom Bootshaus in Köln, sieht Content von Gästen auf Social Media auch als eine Art Mund-zu-Mund-Propaganda. Ein Post eines Freundes oder einer Freundin wirke auch ganz anders als die Werbeposts vom Bootshaus selbst, erzählt er SUNSHINE LIVE. Auch Ahmad Kordbacheh, der Clubchef der Fabrik in Bayreuth, sieht Potenzial in den Kameras auf dem Dancefloor: “Es ist elementar wichtig, dass die Leute mit ihren Mobiltelefonen einen gewissen Vibe nach außen transportieren. Und natürlich auch Emotionen und eine gewisse Stimmung posten. Das ist ein schmaler Grat, die Balance macht es aus.”
Clubs, die eine No-Phone Policy fahren, verzichten auf die Möglichkeit über Content von Gästen Werbung für sich zu machen und nehmen ihrem Publikum die Möglichkeit von eigenen Erinnerungsselfies und Clips. Für Johannes Palmer, dem Chef des Parktheaters in Kempten, ergeben sich bei Events mit No-Phone Policy dafür andere Vorteile: “Die Leute trauen sich eher, sich komplett hinzugeben. Und bestimmte Veranstaltungen werden auch interessanter, wenn nicht am nächsten Tag alles in Instagram Stories zu sehen ist. Es killt oftmals das Feeling, wenn beispielsweise ein neuer Act anfängt - was ja meistens ein spezieller Moment ist - und die Energie gar nicht mehr rüberkommt, sondern alle nur noch die Handys nach oben nehmen und den Künstler wie den Affen im Käfig betrachten.”
Von Margarete Arendt