Leben statt Leerstand
Mit dem zik – Zentrum für internationale Künste oder Zeit ist knapp – zeigen Rebbek Wehner und Moritz Senff, wie verlassene Gewerbeflächen zu lebendigen Community-Spaces werden.
Mit dem zik – Zentrum für internationale Künste oder Zeit ist knapp – zeigen Rebbek Wehner und Moritz Senff, wie verlassene Gewerbeflächen zu lebendigen Community-Spaces werden.
Verlassene Kaufhäuser, leerstehende Bürokomplexe, verwaiste Innenstädte – während der Einzelhandel stirbt und Immobilieninvestoren auf bessere Zeiten hoffen, fehlt es Künstler:innen, Jugendlichen und Communities an Freiräumen. Aber muss das so bleiben? Nicht, wenn es nach Rebbek Wehner und Moritz Senff geht. Die beiden haben das zik – Zentrum für internationale Künste, auch bekannt als "Zeit ist knapp", gegründet. Ihr Ziel: Kulturelle Zwischennutzung von leerstehenden Gewerbeflächen. Was erstmal nach subkulturellen Idealismus klingt, ist in Wirklichkeit ein gut durchdachtes Konzept mit gesellschaftlichem Mehrwert und einem ziemlich pragmatischen Ansatz: "Wir schaffen eine Win-Win-Win-Situation, bei der vor allem die Community profitiert, aber eben auch die Eigentümer und die kommunale Politik", sagt Moritz. "Uns werden diese Orte für wenig Geld oder umsonst zur Verfügung gestellt."
Wir schaffen eine Win-Win-Win-Situation, bei der vor allem die Community profitiert.
Die beiden kommen aus einer Berliner Szene, in der man früher noch selbst Häuser besetzt hat, um Kunst zu machen. "Wir sind immer mit dem Rad durch die Stadt gefahren, haben leere Orte angeguckt und überlegt, was man daraus machen könnte", erzählt Moritz. Doch wo früher improvisiert wurde, ist heute alles reglementiert und Investoren sahen in der Kunst lange Zeit eher ein Risiko als eine Chance. "Immer, wenn wir als Künstler auftauchten, hieß es: 'Oh nee, kein Bock auf noch so ein Tacheles-Projekt.'" Doch irgendwann kam der Wandel. Denn der Leerstand ist inzwischen so groß, dass selbst Eigentümer:innen ins Grübeln kommen. Was tun mit einem Gebäude, das sonst nur verkommt?
Die Idee ist einfach: Große Leerstandsflächen werden für eine bestimmte Zeit bespielt – nicht dauerhaft, sondern bewusst temporär. Rebbek erklärt: "Wir ziehen von Standort zu Standort. Für jede Fläche entwickeln wir ein individuelles Konzept. Wir sind sozusagen Nomaden." Für das zik bedeutet es keine Abhängigkeit von einem Ort, keine Angst vorm Verlust – dafür maximale Flexibilität.
Auch für Immobilieneigentümer:innen lohnt sich die Zusammenarbeit mit dem zik, denn leerstehende Gewerbeimmobilien verlieren nicht nur an Wert, sie verfallen oft schneller und verursachen laufende Kosten. Zwischennutzung kann hier ein wirkungsvolles Mittel sein, um genau das zu verhindern. Moritz nennt ein paar Vorteile: "Sie haben keine Mehrkosten, sie sparen aber auch keine Kosten. Das ist aber in den Augen eines Immobilieneigentümers dann auch kein Verlust." Und selbst wenn kein direkter Gewinn erzielt wird, entsteht oft eine subtile Wertsteigerung, da die Immobilie durch solche Projekte Aufmerksamkeit bekommt. "Wir möchten den Ort so lange beleben, bis dem Eigentümer was Neues eingefallen ist oder der Umbau genehmigt ist", sagt Moritz.
Aktuell ist das Projekt in einer ehemaligen Einzelhandelsfläche im "Kreisel" in Berlin-Steglitz aktiv. Der 120 Meter hohe Gebäudekomplex entstand in den 1970er Jahren. Entworfen wurde das ehemalige Bürohaus von der Architektin Sigrid Kressmann Zschach, der "Kreisel" sorgte jedoch immer wieder für finanzielle und bauliche Probleme und stand jahrelang leer. Im Erdgeschoss, wo früher Rucksäcke und Outdoor-Kleidung verkauft wurden, treffen sich heute Skater:innen, Musiker:innen, Kids aus der Nachbarschaft, Eltern, Künstler:innen und Neugierige. Rollschuhdisco trifft Galerie trifft Nachbarschaftswerkstatt. Es gibt Salsa-Abende, soziales Boxtraining, Konzerte, Lesungen – die Geschichten, die dabei entstehen, erzählen sich fast von selbst: "Es gab so eine Eisprinzessin, die auf Inlinern zwischen Skulpturen ihre Pirouetten drehte", erinnert sich Rebbek. "Sie ist durch den Raum geschwebt. Das sah so abgefahren aus, dass für uns klar war, eine Rollschuhbahn zu integrieren." Und das ist vielleicht das schönste an der Idee: Sie lässt Platz für das Unerwartete. Ein Raum, der sich jedem öffnet, der mit einer Idee vorbeikommt. Für Rebbek und Moritz ist es das Modell der Zukunft.
Wir ziehen von Standort zu Standort. Für jede Fläche entwickeln wir ein individuelles Konzept. Wir sind sozusagen Nomaden.
Damit das Ganze funktioniert, braucht es aber nicht nur kreative Energie, sondern auch Geld. "Wir wollen, dass unser Angebot so niedrigschwellig wie möglich bleibt", betont Rebbek. Am liebsten kostenlos oder auf Spendenbasis. Das geht aber nur, wenn andere Veranstaltungen, wie Corporate-Events, die Miete zahlen. So finanzieren sich die offenen Formate für alle. Ein solidarisches Modell, das sich (wenn es gelingt) von selbst trägt. Das zik ist damit kein Einzelfall. Ähnliche Projekte entstehen auch in anderen Städten – von der Technoparty im leerstehenden Kaufhof in Mönchengladbach bis zum Kulturquartier im alten Kindl-Gelände in Berlin-Neukölln.
Die Übertragbarkeit auf andere Orte ist, was die Idee so stark macht. Denn das Problem der leerstehenden Räume gibt es genauso in anderen Städten Deutschlands, wie in Berlin. Gleichzeitig gibt es immer mehr dieses Bedürfnis nach einem dritten Ort, nach Community Spaces. Konzepte wie das des zik bieten eine Zwischenlösung, die nicht nur den Leerstand überbrückt, sondern echten Mehrwert schafft. Für Menschen, die Räume suchen. Für Eigentümer, die neue Nutzungen testen. Für Städte, die wieder lebendige Orte brauchen. In Moritz' Worten: Win-Win-Win.
Ob sie langfristig Erfolg haben werden? "Ich glaube wir werden in den nächsten Jahren noch viele schöne Orte beleben", so der Mitgründer. "Es gibt kaum noch Jugendhäuser. Kaum noch freie Kunstzentren, wo der Eintritt frei ist, wo Künstler:innen ohne Kosten Ateliers bekommen. Und die Leute haben so viel Bedarf!" Noch ist nicht klar, wie lange das zik in Steglitz bleibt – Ende Juli läuft der Vertrag aus. Aber sicher ist, dass sie weitermachen werden!
Von Katha und Johannah Hainke