Was vom DJ-Traum bleibt
Wer an DJs denkt, erwartet oft Privatjets, Luxusvillen und Gagen im fünfstelligen Bereich. Doch die Realität sieht für den Großteil der DJs ganz anders aus.
Wer an DJs denkt, erwartet oft Privatjets, Luxusvillen und Gagen im fünfstelligen Bereich. Doch die Realität sieht für den Großteil der DJs ganz anders aus.
Namen wie Charlotte de Witte, Solomun oder David Guetta prägen die Wahrnehmung einer Szene, die auf den ersten Blick glamourös und lukrativ wirkt. Laut einem Bericht des FAZEmag verdienen rund 90 Prozent der DJs auf Ibiza jedoch weniger als 500 Euro pro Nacht. Auch die Seite Living Ibiza bestätigt: „Entgegen der allgemeinen Vorstellung verdienen DJs auf Ibiza weniger als die Hälfte von dem, was sie anderswo bekommen würden.“ Das ist kein Einzelfall, sondern Teil eines größeren Musters. In kaum einer anderen Musiksparte ist die Kluft zwischen Superstars und Nachwuchs so groß wie in der elektronischen Musik.
Ibiza ist nur ein Beispiel für das Ungleichgewicht in der Szene. Auch weltweit sieht es ähnlich aus. Eine Umfrage von Pirate.com (2023) zeigt, dass über 70 Prozent aller DJs regelmäßig gratis oder für weniger als 200 Euro pro Gig auftreten.
Vom Auflegen allein zu leben, ist für die meisten nicht möglich.
Warum so viele DJs so wenig verdienen, hat mehrere Gründe. Zum einen gibt es zu viele von ihnen. Durch Streaming Plattformen, Controller und DJ Software ist das Auflegen so zugänglich geworden wie nie zuvor. Das ist kreativ bereichernd, führt aber auch zu einem Überangebot.
Gleichzeitig profitieren Clubs und Veranstalter von großen Namen. Headliner ziehen Publikum, während kleinere Acts oft als „Support“ auftreten. Viele DJs nehmen das in Kauf, um sich einen Namen zu machen. Auf Ibiza etwa gelten Auftritte in großen Clubs als Karrierebooster, auch wenn sie finanziell kaum etwas bringen. Dieser „Prestige statt Paycheck“ Effekt führt dazu, dass DJs oft selbst Geld investieren, um aufzutreten, für Flüge, Unterkunft, Agenturen oder Promo.
Hinter der glänzenden Fassade steckt oft eine Realität, die alles andere als glamourös ist. Geringe Gagen, hohe Reisekosten, unregelmäßige Aufträge und fehlende soziale Absicherung gehören für viele DJs zum Alltag. In einem Interview mit Resident Advisor (2024) beschreibt die Berliner DJ Gigsta: „Viele von uns haben Nebenjobs oder unterrichten, um über die Runden zu kommen. Vom Auflegen allein zu leben, ist für die meisten nicht möglich.“
Der finanzielle Druck geht dabei oft mit einem hohen psychischen Stress einher. Wer als DJ erfolgreich sein will, steht unter ständigem Erwartungsdruck, von Bookern, Fans, sozialen Medien und oft auch von sich selbst. Viele Künstlerinnen und Künstler sprechen offen über Schlafmangel, Überarbeitung und das Gefühl, immer performen zu müssen. Burnout ist in der Szene längst kein Randthema mehr.
Hinzu kommt ein kulturelles Spannungsfeld. Zwischen künstlerischer Freiheit und kommerziellem Zwang zu stehen, ist für viele DJs zur täglichen Herausforderung geworden. Wer experimentiert, riskiert weniger Bookings, wer sich anpasst, verliert schnell an Authentizität. Der Soziologe Jadidi beschreibt dieses Spannungsfeld als das „Hipster Paradox in Electronic Dance Music“, also den Konflikt zwischen Glaubwürdigkeit und Erfolg.
Trotz all dieser Schwierigkeiten entstehen neue Formen der Selbstorganisation. Immer mehr DJs veröffentlichen ihre Musik unabhängig über Plattformen wie Bandcamp oder SoundCloud, gründen eigene Labels oder organisieren DIY Veranstaltungen in Kollektiven. Diese Do it yourself Bewegung steht für eine Rückbesinnung auf Gemeinschaft, Unabhängigkeit und gegenseitige Unterstützung.
Auch im Clubbetrieb verändert sich etwas. Initiativen wie Fair Pay for Artists (2024) in Großbritannien oder das Berliner Netzwerk FairShare fordern faire Honorare und transparente Verträge. Auf Festivals wie dem AVA Festival in London (2024) werden inzwischen Durchschnittsgagen veröffentlicht, um Ungleichheiten sichtbar zu machen.
Gleichzeitig wächst der Community Gedanke. Viele Kollektive setzen wieder stärker auf lokale Lineups, nachhaltige Strukturen und Solidarität statt Konkurrenz. Streaming und soziale Medien bieten zudem Chancen, Reichweite aufzubauen, ohne sich allein auf Clubgagen verlassen zu müssen, auch wenn davon bislang nur wenige wirklich leben können.
Kaum eine Szene vereint so viel Kreativität, Druck und Leidenschaft wie die elektronische Musik. Hinter den Kulissen steckt ein System, das viele antreibt und ebenso viele an seine Grenzen bringt.
Von Anneke Riemenschneider