Thylacine
Thylacine
KW47 Album der Woche

Thylacine "Roads Vol. 3"

Mit Roads Vol. 3 schließt der französische Produzent und Komponist Thylacine seine große Trilogie musikalischer Reiseberichte ab und führt sie zu einem Höhepunkt.

Nach den Anden Argentiniens und den windgeformten Klippen der Färöer-Inseln richtet William Rezé, wie Thylacine bürgerlich heißt, seinen Blick nun auf Namibia. Ein Land, das ihn bereits lange faszinierte, dessen Kultur, Stimmen und Geschichte sich nun aber in einer Klangreise manifestieren, die so weit, archaisch und voller Kontraste ist wie die älteste Wüste der Welt selbst.

Thylacine
Thylacine

Die Suche nach dem Unbekannten

Für seine Alben zieht sich der Künstler aus seiner gewohnten Welt heraus, um sich in neuen Landschaften wiederzufinden. Seine Methode ist inzwischen bekannt: Ein 1972er Airstream-Wohnwagen, umgebaut zu einem vollwertigen Tonstudio, wird zum Zentrum seiner kreativen Arbeit. „Ich brauche Bewegung, um zu kreieren“, erklärt er. „Wenn ich wochenlang in einem Raum sitze, fühle ich mich nicht produktiv. Reisen ist für mich der Prozess.“ 

Für das Namibia Album bedeutete das: 100 Tage unterwegs, oft weitab jeglicher Infrastruktur, bei Temperaturen, die tagsüber jedes Arbeiten unmöglich machten. Die Sessions verlagerten sich in die Nacht, das Metall des Airstreams vibrierte auf holprigen Straßen, Elektronik überhitzte und doch entstand genau hier jene fragile, aber hochkonzentrierte kreative Blase, die Thylacine braucht. 

Namibia war für den Musiker nahezu unbeschriebenes Terrain. „Es ist der Teil der Welt, den ich am wenigsten kannte“, sagt er. Die Begegnungen vor Ort, mit Himba, Mafwe, Nama und vielen anderen, wurden zu einem Kernstück des Albums. Rezé verbrachte meist eine Woche an einem Ort, um in die Klänge, Sprachen und musikalischen Traditionen einzutauchen. Inspiration ergab sich im Gespräch, in improvisierten Aufnahmesessions oder einfach durch das sonore Summen einer Landschaft, die so weit ist, dass man sich selbst darin verliert. 

Die Vielfalt überraschte ihn besonders: „Es gibt 15 bis 17 verschiedene Sprachen im Land. Ich wollte erst neue Sprachen lernen, aber jede Woche kam eine andere dazu.“ Dazu kamen Tiere, die nicht nur sichtbar, sondern auch hörbar wurden: nächtliche Hyänenrufe, Vogelchöre im Morgengrauen, das rhythmische Dröhnen des Windes über den Sand. 

Roads Vol. 3 besteht aus elf Songs, die jeweils einen eigenen Mikrokosmos bilden und sich dennoch zu einem organischen Ganzen verweben. Eine Tonspur des Reisens, Entdeckens und Zuhörens. Discussion With a Giant eröffnet das Album mit der imposanten Weite Namibias: atmosphärisch dicht, zugleich reduziert, getragen von Thylacines Bariton-Saxophon, das er live als „sehr physische Performance“ beschreibt. Dokido (with Ozohere’s Himba) basiert auf traditionellen Gesängen, die aus lokalen Tanzbattles stammen. Ein Track, der zeigt, wie Thylacine nicht entnimmt, sondern kollaboriert. Goodnight integriert Hyänenrufe, die er nachts hörte und zunächst nicht zuordnen konnte. Mafwe (with Kwando’s Mafwe) ist eine dokumentarische Aufnahme mit dem Mafwe-Volk und zeigt Thylacines feine, respektvolle Arbeitsweise. 

Shark Island: das Herzstück des Albums 

Der vielleicht eindrücklichste Moment des Albums ist Shark Island, musikalisch wie emotional. Shark Island war zwischen 1905 und 1907 eines der ersten Konzentrationslager der Welt, errichtet von deutschen Kolonialtruppen. Zwischen 1.032 und 3.000 Nama und Herero starben hier während des Genozids. 

Thylacine begegnete dieser Geschichte in Gesprächen mit den Menschen vor Ort. Ein Nama-Chief bat ihn explizit, diese Geschichte weiterzutragen und so entstand der Track auf künstlerischem, aber zutiefst respektvollem Wege. Er nahm Ahnengesänge mit einem lokalen Chor in einer deutschen Kirche auf; das Video von Cécile Chabert ergänzt das Stück als eindringliches visuelles Statement. „Ich bin kein Journalist“, betont Rezé, „aber ich wollte einen Weg finden, diese Geschichte auf eine Weise zu erzählen, die Sinn ergibt.“ 

Thylacine
Thylacine

Ein Album, das bleibt und live weiterwächst

Roads Vol. 3 markiert eine Rückkehr zu den elektronischen Wurzeln des Künstlers – doch anders als früher. Nach Ausflügen in die Klassik, darunter Timeless (2020) oder zuletzt Thylacine and 74 Musicians (2024), in denen er mit Orchesterwerken von Mozart, Vivaldi oder Händel neu interpretierte, ist diese Platte von einer neuen Tiefe geprägt. Die Elektronik ist nicht Effekt, sondern Atmosphäre. Nicht Eskapismus, sondern Dokument. 

Die Tracks bewegen sich zwischen pulsierenden Rhythmen, zarten Melodien und cineastischen Soundscapes. Feldaufnahmen und traditionelle Instrumente verweben sich mit synthetischen Texturen, ohne je exotisierend zu wirken. Stattdessen entsteht ein Panorama, das der Komplexität und Schönheit Namibias gerecht wird. 

Auf Tour interpretiert Thylacine die Stücke neu. „Ich komponiere nicht mit dem Gedanken an Live-Auftritte“, erklärt er. Erst später findet er Wege, die Essenz der Tracks in energiegeladene Performances zu übersetzen. Besonders A Discussion With a Giant, Shark Island oder Doki Do entfalten live eine zusätzliche Dimension. 

Seit Transsiberian, seinem Debüt, das während einer 9.288 Kilometer langen Zugfahrt entstand, hat Thylacine über 320 Konzerte gespielt, Millionen Streams gesammelt und in Europa wie in den USA ausverkaufte Shows gegeben. Und doch bleibt sein Ansatz unverändert: Er sucht Orte, die ihn verändern. Er lässt die äußere Welt zu einer inneren werden und formt daraus Musik. 

Roads Vol. 3 ist sowohl der Abschluss einer Trilogie als auch ein Bekenntnis zu künstlerischer Neugier, zur Offenheit gegenüber anderen Kulturen, zum Zuhören, zum Hinterfragen und zu einer Musik, die erlebt werden will.