TOXICATOR Mannheim
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Feel Good Friday

BACK 2 THE ROOTS – CLUB MEETS CLASSIC

Christian Löffler, Alex Christensen, Roumex und NanoViola, sie kommen zwar aus unterschiedlichen Richtungen der elektronischen Szene, doch sie teilen eine Sache: die Faszination für klassische Musik.

Immer mehr Produzentinnen und Produzenten der elektronischen Musik tun sich mit Komponisten und Orchestern der klassischen Musik zusammen oder greifen selbst zu Instrumenten. Diese Entwicklung ist nicht direkt abwegig, aber doch ein wichtiger Schritt für die Subkultur, schließlich galt die Verbindung von “Musik aus dem Computer” und echten Instrumenten für viele als unmöglich. Wirklich überraschend ist es nicht, schließlich ist und bleibt die elektronische Musik experimentierfreudig.  

EIN BLICK IN DIE GESCHICHTE

Was macht diese Zusammenarbeit zwischen elektronischer und klassischer Musik so spannend? Dafür müssen wir einen Blick in die Musikgeschichte werfen. Im Chicago der frühen 1980er-Jahre entstand das Genre House. In Clubs wie dem Warehouse und dem Music Box entwickelten DJs wie Frankie Knuckles, Ron Hardy und Larry Heard einen neuen Sound aus Disco, Funk, Soul und Gospel. Dieser neue Sound richtete sich vor allem an Communitys, die damals kaum Akzeptanz im öffentlichen Leben fanden: queere, schwarze und lateinamerikanischen Menschen. Die Tanzflächen boten Schutzräume und die Musik neue Ausdrucksmöglichkeiten. Mit Drumcomputern, Samplern und Synthesizern entstanden erste Tracks, die im Club getestet und ständig weiterentwickelt wurden. Etwa zur gleichen Zeit entwickelte sich in Detroit ein anderer elektronischer Stil: Techno. Die Stadt war vom Niedergang der Autoindustrie geprägt, Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicher Stillstand bestimmten den Alltag. Drei schwarze Schüler aus dem Detroiter vor Ort Belleville, Juan Atkins, Derrick May und Kevin Saunderson (später bekannt als The Belleville Three), verbanden die Funk-Tradition ihrer afroamerikanischen Community mit Einflüssen europäischer Elektronik. So entstand ein kühler, futuristischer Sound, der weniger emotional, aber rhythmisch präzise war. 

Ende der 80er-Jahre erreichte House Großbritannien. Hier wurde der neue Sound vor allem in den Clubs schwarzer Communities in London und Manchester gespielt. Von dort breitete er sich jedoch rasch zu einer landesweiten Jugendbewegung aus. Auch in Deutschland wird der neue Sound schnell übernommen. In Berlin trifft Techno auf den Mauerfall und große leerstehende Gebäude im Ostteil der Stadt ohne geklärte Besitzverhältnisse. Techno entfaltet sich hier in einer Zeit des Umbruchs und großer Freiheiten.  

Was in Chicago und Detroit aus der Mitte marginalisierter Communities entstand, fand schnell internationale Popularität. Und trotzdem konnte sich House, Techno und die daraus entstehende Clubkultur nie in die Garde der Hochkultur einreihen. Die Subkultur, die außerhalb akademischer Strukturen, finanzieller Förderung oder musikalischer Bildung entstanden muss bis heute für ihre Räume und Unterstützung kämpfen.  

Klassische Musik hingegen war über Jahrhunderte das Sinnbild von Hochkultur. Sie wurde in Opernhäusern, Philharmonien und Akademien gepflegt, von ausgebildeten Musikerinnen und Musikern nach festgelegten Regeln gespielt. Sie genießt in der westlichen Welt ein hohes Ansehen, während elektronische Musik in den Augen mancher immer noch als rebellisch gilt. Jetzt entstehen aus vermeintlich unvereinbaren Musikrichtungen und Kulturen gemeinsamen Projekt. Ein wichtiger Schritt in Richtung Gleichstellung von Hoch- und Subkultur in der Musik. 

Christian Löffler A Life
Christian Löffler A Life

FLIRT MIT DER ELITE

Der deutsche Produzent Christian Löffler zeigt, wie sich die Idee der Fusion von klassischer- und elektronischer Musik in der Praxis umsetzen lässt. Für seine aktuelle “Until We Meet Again Tour” arbeitet er mit dem Komponisten Sven Helbig zusammen. Im Zentrum ihrer Show steht ein gemeinsames Klavierquartett, das beiden Künstlern als verbindendes Element dient. “Die Zuhörer:innen erleben einen durchkomponierten Abend, in dem orchestrale Tiefe, intime Kammermusik und elektronische Texturen ineinander übergehen”, heißt es in der offiziellen Tour Ankündigung. Es sei nicht bloß “Synthesizer mit Streicher”, er wolle Klavier, Streicher und Elektronik zusammenbringen. 

Alex Christensen hat sich dieses Konzept längst zu eigen gemacht. Bekannt geworden ist er in den 90ern mit der Band U96 und dem Track “Das Boot”. Mit seiner Reihe “Classical 90s Dance” hat er inzwischen sechs Alben veröffentlicht, auf denen er bekannte Dance-Hits neu arrangiert, eingespielt mit dem Berlin Orchestra. In seinen Liveshows steht das Ensemble im Mittelpunkt. Streicher, Bläser und Percussion bilden das Fundament, während Christensen an den Reglern steht. So hat er seine eigene Brücke zwischen Club und Orchester gebaut. Und das kommt gut an: Mehr als 60.000 verkaufte Tickets für seine Live-Termine im vergangenen Jahr und 2x Gold für über 300.000 verkaufte Alben.  

Inzwischen entstehen sogar ganze Formate, die elektronische und klassische Musik gezielt zusammenbringen. Groove Symphony beschreibt sich selbst als Projekt, bei dem “klassische, sinfonische Musik auf elektronische Clubmusik trifft.” In ihren Konzerten verschmelzen DJ-Pult und Orchestergraben zu einer Bühne, auf der beide Seiten gleichberechtigt agieren. Bekannte Namen der elektronischen Szene sind hier zu besuch. Andreas Henneberg spielt zusammen mit Top-Drummern, Pianisten und einem klassischen Orchester in Städten wie Rostock, Mannheim und Babelsberg. Eva Padberg, Dapayk und Douglas Greed treten unter der musikalischen Leitung von Christian Dellacher gemeinsam mit einem Sinfonieorchester auf. Und das Hamburger Duo Moonbootica arbeitet mit den Dortmunder Philharmonikern zusammen, um Soul, Elektro, Klassik und Hip-Hop in einem Konzertformat zu vereinen. 

DIE VIELEN SAITER DER ELEKTRONISCHEN MUSIK

Philipp und Johannes aus Nürnberg touren als DJ-Duo Roumex durch ganz Europa und stehen für einen Sound, der Melodic House mit Live-Instrumenten verbindet. Ihr Markenzeichen: der Einsatz von E-Gitarre und E-Geige auf der Bühne. Schon als Kinder spielten sie Instrumente und entwickelten so ein Gespür für Melodie, Harmonie und Rhythmus. Mit sechzehn entdeckten sie die elektronische Musik und fanden eine neue Welt, die sie bis heute nicht losgelassen hat. “Wir wollten einfach etwas völlig Neues ausprobieren”, sagen sie rückblickend. Philipp, der aus einer klassischen Musik kommt, schwärmt von Bach, in dessen Akkordfolgen er auch Parallelen zur Struktur elektronischer Beats erkennt. Bei ihren Auftritten sorgen die Instrumente regelmäßig für Überraschungsmomente. Wenn die Geige einsetzt oder ein Gitarrenriff sich durch den Bass schneidet, reagieren die Menschen sofort: “Das ist der Moment, in dem überall Handys gezückt werden.” 

Bei E-Geige darf eine nicht vergessen werden: NanoViola. Sie verbindet Klassik und Clubkultur auf ihre eigene Weise. “Ich möchte nicht nur Musik spielen, ich möchte sie verändern – ihr durch Violone und Elektronik neues Leben einhauchen”, heißt auf ihrer Website. Die Musikerin, die in St. Petersburg geboren wurde, erhielt bereits mit sechs Jahren eine klassische Ausbildung zur Bratschistin. Später zog sie nach Deutschland, um bei einem renommierten Solisten zu studieren. Der Leistungsdruck in der klassischen Musik brachte sie jedoch dazu aus der Szene auszubrechen und sich dem Techno zuzuwenden. Ihre Sets entstehen live, sie improvisiert über Basslines und moduliert den Klang in Echtzeit. Dabei spielt sie nicht nur über vorproduzierte Tracks, sondern interpretiert auch klassische Größen wie Vivaldi, Bach, Beethoven, Mozart und Tschaikowski neu. Anfangs wurde sie oft missverstanden. „Viele dachten, das Instrument sei fake, und ich würde gar nichts live spielen“, erinnert sie sich. „Das hat mich verletzt, weil so viel Arbeit dahintersteckt.“ 

Von Johannah Hainke